Murmeljagd (German Edition) by Ulrich Becher
Autor:Ulrich Becher [Becher, Ulrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: 978-3-89561-307-4
Herausgeber: Schöffling & Co.
veröffentlicht: 2014-12-09T16:00:00+00:00
11
Das war das Zwischenspiel.
Dideldum, dideldum, dideldum.
Eine arge Zeitlang schwiegen wir selbdritt, und ich glaubte sie wieder zu hören, die Stimmen des Asthmas, um zu entdecken: diesmal wisperten sie nicht in mir. (Die letzte Ephedrin-Dosis hielt vor.) Da war Valentin Tiefenbruckers verstärktes Schnauben, Hochschnüffeln und hinter mir GroÃpapas beschleunigtes Röcheln, ja Röcheln. Keiner, so schienâs, blickte den andren an. SchlieÃlich streifte der Valentin die Spiralenringe aus Nickeldraht ab, die seine Lüsterärmel während des Solospiels gerafft gehalten hatten, und bemerkte fast ohne Dialekt, ein wenig nasal (was bei einem Nichtwiener auf Schnupfen schlieÃen lieÃ):
»Wenn man einen Weltkrieg und eine groÃe Revolution mitgemacht hat, dann, dann hat man genug Blitztragödien mitangeschaut. Aber so was von einer Blitztragödie â und einer Haltung â bei einem Menschen â so was von einer Haltung â noch nie. Und wennâs mir auch heut noch im Herzen genau so weh tut wie vor knapp fünf Tagen, als ich mirâs gezwungenermaÃen hab ansehn müssen â ich konnt mir nicht helfen und kann mir nicht helfen. Das Schauspiel hatte, wie soll ich sagen, antike GröÃe.«
»Komisch, rr-ch, rr-ch«, Kujaths stetes Röcheln. »Komisch, daà Trebla und ich, daà wir uns grade vor Ihrer Ankunft, Tiefenbrucker, über eine, rr-ch, Selbstmordepidemie unterhielten ⦠die allerdings woanders ausgebrochen zu sein scheint, im, rr-ch, Engadin. Nach Ihrer verflucht, wirklich verflucht prägnanten Schilderung kann ja kein Zweifel daran bestehn, rr-ch, daà es sich nich etwa um einen miÃglückten Fluchtversuch handelte, sondern um einen, rr-ch, Selbstmord-auf-die-schnelle-Husche, denn d-i-e-s-e Doppelhürde â«
»Pardon«, unterbrach ich ihn eisig, steif und blicklos. »Nach meiner Ansicht warâs ein ge-glück-ter Flucht-ver-such.«
»Menschenskind, Trr-ch-Trebla, du sitzt so schwarz â so schwarzgekleidet vor mir, als hättesteâs geahnt.«
»Geahnt.«
»Daà ich â daà ich dir in d-e-m Fall kondoliere, hat ja wohl wenig Zweck.«
»Wenig Zweck.«
»M-a-n-n, du wirst es«, GroÃpapas Röchelzischeln hinter mir, »âRoxane möglichst schonend beibringen müssen, möglichst schonend.«
»Möglichst schonend.«
»Mit deinem angeborenen Takt.«
»Mit meinem angeborenen Takt.«
»Und gröÃtmöglicher Schonung, das ist klar.«
»Das ist klar.«
»Aber wie; w-i-e bringsteâs ihr bei, das ist die Frage.«
»Die Frage.«
»Armer Junge, ich möchte nich in deiner, rr-ch-Haut stecken«, röchelte er, und ich leierte als nicht ganz korrektes Echo:
»Ich möchte nicht in meiner Haut stecken.«
GroÃpapa schleppte sich an mir vorbei. Ich sah ihn endlich wieder an. Er stützte sich mit beiden groÃen Händen auf die flache Kante des Billardtischs. Der grelle Lichtkegel der Schlangenhautlampe enthüllte die Diskrepanz zwischen dem intakt gebliebenen âºTropenkavaliersâ¹-Aufzug und seinem Gesicht, dessen Hautfarbe noch vergilbter, dessen Augenschatten noch violetter wirkten, indes der Hindenburgschnurrbart seine Fasson verloren hatte. Das eine Ende hing zerzaust, fast lotrecht, was ihm etwas frappant, ja: Asiatisches verlieh. (Aus meiner Kriegs- und Bürgerkriegserfahrung: in den germanischen, dinarischen, romanischen Gesichtern von Männern unter schwerer Pression konnten ganz plötzlich asiatische Züge aufleben.) Das war keine Aztekenmaske mehr; die Empörung, der Aufstand in dieser Physiognomie erinnert mich an ⦠den Hauptdarsteller des Russenfilms Sturm über Asien. Kujath packte eins der beiden Queues, mit denen der Vale die Starkstromwand dargestellt hatte und knallte es mit aller ihm verbliebenen Wucht mehrmals auf die Tischkante. »Der Draht muà zerreiÃen, die Wand zer-rr-ch-zerbrechen«, röchelte er dabei wie von Sinnen, in einem Ausbruch sogenannter sinnloser Wut.
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